«Thierry Burkart springt von Bord, statt den Mann zu stellen»

Bettina Zanni
Bettina Zanni

Baden,

FDP-Chef Thierry Burkart tritt früher als erwartet zurück. Laut Politologe Michael Hermann steht die Partei vor einer enormen Zerreissprobe.

Thierry Burkart
Politologe Michael Hermann bezeichnet Thierry Burkarts Rücktritt als Flucht. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Bereits nach vier Jahren gibt Thierry Burkart sein Amt als FDP-Parteipräsident ab.
  • «Er verlässt das Schiff in sehr unruhigen Seen», sagt Politologe Michael Hermann.
  • Einer bestimmten Frau gibt er gute Chancen für das Amt.

Nau.ch: FDP-Chef Thierry Burkart nimmt früher als erwartet den Hut. Er sagt, dass er zu einem guten Zeitpunkt gehe. Seine Partei sei sehr gut aufgestellt. Stimmen Sie zu?

Michael Hermann*: Eher ist Thierry Burkart ein Kapitän, der sein Schiff in sehr unruhiger See verlässt. Wo er recht hat, ist, dass die FDP unter ihm grössere Geschlossenheit erlangt hat. Er hat sich als Leader etabliert. Aber gleichzeitig steht die Partei vor einer enormen Zerreissprobe.

Nau.ch: Was heisst das genau?

Michael Hermann: Das EU-Dossier wird die kommenden Jahre immer mehr in den Fokus rücken. Da geht ein Riss quer durch die Partei. Zudem erlitt die FDP bei den eidgenössischen Wahlen 2023 eine herbe Niederlage. Sie fiel fast hinter die Mitte zurück. Seither ist die Partei in der Defensive. Sie droht, bei den Wahlen 2027 nochmals zurückzufallen und den zweiten Bundesratssitz an die Mitte zu verlieren.

Das sind alles enorme Herausforderungen für die Partei – und nun geht Thierry Burkart. Das ist eine Flucht in einem Moment, in dem es jemanden mit Erfahrung am Steuer bräuchte.

Thierry Burkart
*Michael Hermann ist Politologe und Leiter des Forschungsinstituts Sotomo. Er sieht Thierry Burkart als unbestrittenen Leader der FDP. - keystone

Nau.ch: Burkart begründet seinen Abgang auch mit seiner Nachfolge. So habe die neue Parteispitze zwei Jahre Zeit, die Partei in die nächsten nationalen Wahlen zu führen.

Michael Hermann: Bis die neue Person antritt, ist die Mitte der Legislatur vorbei. Dann verbleibt wenig Zeit, um das Steuer herumzureissen. Burkart hatte kürzlich angekündigt, nach den nächsten Wahlen zu gehen. Umso seltsamer ist, dass er jetzt schon zurücktritt.

Nau.ch: Das Amt als Parteipräsident gilt als Verschleissjob. Ist Burkart nach vier Jahren die Energie ausgegangen?

Michael Hermann: Parteichef oder -chefin zu sein, ist ein harter Job. Insbesondere, wenn man nicht auf der Gewinnerseite steht. Bei Parteien im Krebsgang ist der Druck gross. Gerade bei Parteien zwischen den Polen braucht es jedoch einen längeren Atem als vier Jahre.

Nach dem Rücktritt von Petra Gössi machte Burkart mit seiner Kurskorrektur eine klare Ansage. Auch versprach er, dass es aufwärtsgehe. Damit setzte er sich ein besonders hohes Ziel.

Tritt Thierry Burkart zu früh als Parteichef zurück?

Nau.ch: Wie hat er seinen Job gemacht?

Michael Hermann: Positiv schlägt zu Buche, dass Burkart ein unbestrittener Leader der Partei ist. Es gab keine Führungsdiskussionen und keine sichtbaren Grabenkämpfe. Auch ist er ein guter Kommunikator und kommt bei der Basis gut an. Das ist nicht selbstverständlich.

Seine Ansage, dass es mit der Partei aufwärtsgehen werde, konnte er aber nicht einlösen. Die grösste Schwäche ist, dass er in diesem schwierigen Moment offenbar Angst hat, nochmals zu verlieren. Statt, dass er den Mann stellt, springt er von Bord.

Nau.ch: Wird der Einfluss der Parteispitze auf den Erfolg einer Partei manchmal auch überbewertet?

Michael Hermann: Der Erfolg einer Partei ist auch sehr stark eine Frage der Themenkonjunktur. Liberale Positionen sind aktuell weltweit in der Defensive. Grund dafür ist, dass eine Mischung von sozialen und konservativen Positionen vorherrscht.

Nau.ch: Was braucht es, damit die FDP wieder auf Kurs kommt?

Michael Hermann: Petra Gössi positionierte die Partei mit ihrer Klimapolitik näher an der GLP. Thierry Burkart machte das Gegenteil. Am Schluss braucht es jemanden, der diese Pole zusammenhalten kann und sich um das ganze Spektrum bemüht. Burkart hat sich nicht wirklich um die progressiv-liberalen Strömungen bemüht, welche die Partei auch braucht. Mit seiner Position in der Asylpolitik hat er dagegen vor allem die SVP stark gemacht.

Nau.ch: Wer könnte diese Herausforderungen als neue Chefin oder neuer Chef meistern?

Michael Hermann: Nationalrätin Jacqueline de Quattro sehe ich als sehr geeignete Kandidatin. Sie hätte diese Fähigkeit, Brückenbauerin zu sein. Sie hat das Bewusstsein für die verschiedenen Strömungen des freisinnigen Spektrums. Auch ist sie kommunikativ stark. Und als frühere Sicherheitsdirektorin des Kantons Waadt kann sie mit Kerlen umgehen.

Thierry Burkart
«Sie hätte diese Fähigkeit, Brückenbauerin zu sein», sagt Politologe Michael Hermann über FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro. - keystone

Diese Flügel auch zusammenhalten könnte FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt. Er ist breit akzeptiert und das Gesicht einer neuen Generation.

Thierry Burkart
Auch FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt hat laut Hermann gute Karten als Nachfolger von Thierry Burkart. - keystone

Nau.ch: Warum ist es wichtig für dieses Amt, mit Kerlen umgehen zu können?

Michael Hermann: Die FDP ist nach wie vor eine maskulin geprägte Partei. Frauen müssen sich dort doppelt beweisen. Thierry Burkart schaffte es mit seiner klaren Ansage zu seinem Amtsantritt, die Partei ruhig zu halten. Das gefiel den Mitgliedern.

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