120 Hunde getötet: «Wir hätten alle platzieren können»

Das Veterinäramt Solothurn hat im Fall Ramiswil innert Kürze alle Hunde eingeschläfert. «Problemlösung durch Massentötung», kritisiert der oberste Tierschützer.

Das Wichtigste in Kürze
- Die 120 vernachlässigten Hunde in Ramiswil wurden alle getötet – das sorgt für Empörung.
- Peter V. Kunz vom Schweizer Tierschutz (STS) kritisiert den Alleingang des Veterinäramts.
- Laut der Leiterin einer Hundepension war keiner der 120 getöteten Hunde todkrank.
- Eine Tierschützerin kämpft mit Veterinärämtern, die «aus fadenscheinigen Gründen» töten.
Auf einen Schlag haben 120 Hunde ihr Leben verloren. Bei der Räumung des Hofs in Ramiswil SO schläferte das Veterinäramt die Hunde ein – noch vor Ort. Die Hunde seien in einer «desolaten Verfassung» gewesen, behauptet der Kanton Solothurn.
Peter V. Kunz, Präsident des Schweizer Tierschutzes (STS), kritisiert den Entscheid scharf.
«Das Veterinäramt hat uns nie kontaktiert», sagt er zu Nau.ch. Am Donnerstag und Freitag kam es zur Räumung.
Kunz sagt: «Wir hätten in einem Notfall selbst am Freitagabend noch 120 Hunde platzieren können, hätte uns das Veterinäramt angefragt.»
«Krassester Eingriff bei allen Tieren»
Kunz ist auch Jurist. Er kritisiert, dass das Veterinäramt Solothurn «vermutlich juristisch nicht korrekt» gehandelt habe. Das Bundesgericht sage klar, dass das Veterinäramt das Prinzip der Verhältnismässigkeit anwenden müsse.

«120 Hunde zu töten, also den krassesten Eingriff bei allen Tieren zu wählen, widerspricht dem.» So habe es sich nicht etwa um eine Tierseuche gehandelt, was ein solch drastisches Vorgehen allenfalls gerechtfertigt hätte.
Auf dem Hof wurden auch rund 40 Pferde beschlagnahmt. Diese konnten gerettet werden. Kunz: «Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, dass dort gleichzeitig kein einziger Hund gerettet werden konnte.»
Tierschützer zweifelt an Kontrollen
Ein Mann, der auf dem Hof einen Arbeitseinsatz leistete, rettete zudem einen Welpen zwei Tage vor der Räumung.
«Blacky» ist das beste Beweismittel dafür, dass bei den Hunden die Überlebensfähigkeit gegeben war», sagt Peter V. Kunz.
Er zweifelt daran, dass genügend Tierärzte vor Ort waren, um die Hunde zu untersuchen. «Jeder einzelne Hund hätte kontrolliert und tierärztlich protokolliert werden müssen, was sehr viel Zeit braucht.»
Er vermutet deshalb ein pragmatisches Vorgehen. «Man wählte pragmatisch wohl die Problemlösung durch Massentötung», folgert Kunz.
«Man hätte die meisten Hunde wieder hingekriegt»
Auch Susi Düsel hätte in ihrer Hundepension «Susi's Hundeparadies mit Herz» in Gams SG noch Platz gehabt.
Noch im März habe sie zehn der Hunde des Hofs bei sich aufgenommen, sagt sie zu Nau.ch.

«Die besagte Besitzerin wollte in die Ferien gehen und fragte mich an.» Die Hunde seien unterernährt gewesen. «Aber niemals so stark, dass sie nicht überlebensfähig waren.» Vier Wochen lang habe sie die Hunde aufgepäppelt.
«Ich bin mir sicher, dass man die meisten der 120 Hunde auch wieder hingekriegt hätte», sagt Düsel. Es gebe selten Fälle, in denen das Einschläfern die einzige Lösung sei. «Ausser, ein Hund ist vielleicht sehr alt und krank oder schwer verletzt.»
«Man hat zu schnell gehandelt»
Esther Geisser, Präsidentin der Tierschutzorganisation Network for Animal Protection (Netap), hat immer wieder mit Veterinärämtern zu tun.
«Ich bin überzeugt, dass mit der Euthanasie zu schnell gehandelt wurde», sagt sie zu Nau.ch. Sie hält es für durchaus möglich, dass der eine oder andere Hund krank war.
«Unmöglich ist aber, dass so viele Hunde innert dieser kurzen Frist einzeln klinisch untersucht wurden.»
Solche Abklärungen dauern laut Geisser in der Regel mehrere Tage. «Weil man sehen will, ob und wie ein Tier auf eine Therapie anspricht.»
Zudem gebe es auch bei Tieren in desolaten Zuständen immer Hoffnung. Regelmässig treffe Netap auf Hunde und Katzen, die «sehr schlecht aussehen». «Trotzdem schaffen wir es, ihre Lebensqualität fast immer wieder herzustellen.»
«Amt wollte 30 Katzen einschläfern»
Geisser hat schon oft die Erfahrung gemacht, dass Veterinärämter beschlagnahmte Katzen einschläfern lassen wollten.
«Sie brachten jeweils fadenscheinige Gründe vor», sagt die Tierschützerin. Es genüge ihnen, wenn eine Katze wild wirke oder irgendein Schnelltest ein positives Resultat zeige.
Die Tierschützerin erinnert sich an einen Fall von Tierhortung im Kanton Thurgau. «Das Veterinäramt fuhr dort ein, beschlagnahmte 18 Katzen und hatte am nächsten Tag schon zehn davon getötet.»
Acht davon habe sie noch retten können, weil Netap umgehend die Verantwortung übernommen habe.

Ähnliche Erfahrungen machte sie mit dem Veterinäramt Zürich. «Das Amt wollte von heute auf morgen 30 Katzen einschläfern lassen.» So weit sei es nicht gekommen, weil Netap sofort alle übernommen und untergebracht habe.
Hunde hätten in «erfahrene Hände» gehört – die sind schwer zu finden
Für Geisser ist klar, warum die Veterinärämter oft so handeln. «Sie stehen immer vor der Herausforderung, einen Platz für die Tiere zu finden und die Kosten tragen zu müssen.» Handelt es sich dabei um anspruchsvollere Tiere, erklärten sie diese schnell zu hoffnungslosen Fällen.
Bei den 120 getöteten Hunden in Ramiswil handelt es sich fast ausschliesslich um Herdenschutzhunde der Rassen Maremmano und Kangal.
«Das sind grosse Hunde, die in erfahrene Hände gehören. Es ist ein Kraftakt, Plätze für solche Hunde zu finden, insbesondere für so viele», sagt Esther Geisser.
Tierschützer fordern mehr Zusammenarbeit
Geisser sagt, sie bemängle seit Jahren die oft fehlende Zusammenarbeit mit den Tierschutzorganisationen.
«Die Ämter täten gut daran, solche Aktivitäten mit dem Tierschutz zu koordinieren.» Dies, um rechtzeitig genügend Plätze zur Verfügung stellen zu können.
Auch Peter V. Kunz fordert, dass sich die Veterinärämter in Zukunft mit den Tierschutzorganisationen koordinieren.
Tierschutzorganisationen könnten mit ihren Netzwerken helfen. «Stattdessen vermitteln die Ämter aber den Eindruck, als wären sie ein Konkurrenzsystem.»
Der Kanton Solothurn hat im Fall Ramiswil eine externe Untersuchung eingeleitet.
Die Redaktion hat das Veterinäramt Solothurn mit den Vorwürfen am Freitag konfrontiert. Andrea Affolter, Medienbeauftragte des Regierungsrats, teilt mit, dass der genaue Hergang der Ereignisse in diesem Tierschutzfall Gegenstand der Untersuchung sei.
Dies betreffe auch die Würdigung der ergriffenen Massnahmen. «Weitere Angaben dazu sind zurzeit nicht möglich.»


















