Kann man einen Mörder wie Thomas N. jemals «heilen»?

Thomas N. kämpft für eine Therapie – offensichtlich in der Hoffnung, so schneller oder überhaupt freizukommen. Nur: kann es nach dieser Tat je ein Zurück geben?

Das Wichtigste in Kürze
- Der Vierfachmörder von Rupperswil AG kämpft für eine Therapie.
- Ein Teilerfolg ist ihm gelungen. Das Bundesgericht muss nun entscheiden.
- Doch: Sind Täter wie er überhaupt therapierbar? Aus Studien gibt es Hinweise.
Der Fall gilt als eine der grausamsten Straftaten der Schweizer Kriminalgeschichte: 2015 verschafft sich Thomas N.* Zugang zu einem Haus und löscht eine Familie aus.
Seine Strafe: Lebenslang, also 15 Jahre Gefängnis, danach zeitlich unbegrenzte Verwahrung. Heisst: Der Vierfachmörder von Rupperswil kommt nach dem Absitzen seiner Haftstrafe nur frei, wenn ein psychiatrisches Gutachten es zulässt.
Auf genau das hofft der heute 42-jährige Schweizer. Er kämpft aktuell dafür, sich therapieren lassen zu dürfen.
Kantonales Gericht will N. therapieren lassen
Das Bundesgericht hat vor sechs Jahren entschieden, N. bekomme keine Therapie. Das Aargauer Verwaltungsgericht hat seine Beschwerde dagegen kürzlich teilweise gutgeheissen.
Sein Entscheid: Der Kanton muss einen bereits begonnenen psychiatrisch-psychologischen Prüf- und Abklärungsprozess abschliessen. Dann soll erneut geprüft werden, ob der verurteilte Mörder therapiert werden darf.
Im Gerichtsentscheid heisst es, die Vollzugsbehörde habe die Pflicht, eine Therapie anzubieten. Die Aargauer Staatsanwaltschaft zieht den Fall vor das Bundesgericht.
Es geht um viel – mit auch um die entscheidende Frage: Lässt sich das Gewaltpotenzial von Tätern wie Thomas N. überhaupt jemals wegtherapieren?
Studie: 80 Prozent der einst Verwahrten wurden nicht rückfällig
Diese Frage beschäftigt neben Vollzugsbehörden und Gerichten natürlich auch die Forschung. Eine Studie liefert Hinweise – sie befasst sich mit dem Debakel um die sogenannte nachträgliche Sicherheitsverwahrung in Deutschland.
In den frühen 2000er Jahren mussten die Behörden dort 131 eigentlich verwahrte Straftäter freilassen. Der Grund: Es hatte sich herausgestellt, dass eben diese Sicherheitsverwahrung rechtswidrig ist.
Unter den Freigelassenen befanden sich auch Gewalt- und Sexualstraftäter. Ursprünglich hatten die Gerichte die Verwahrungen für sie angeordnet, weil sie von hohen Rückfallrisiken ausgingen.
«Man hatte damals grosse Sorge, dass diese Menschen wieder schwere Straftaten begehen», sagt Kriminologe Dirk Baier zu Nau.ch. «Es ist anders gekommen.»
Konkret: 80 Prozent wurden nicht derart rückfällig, dass sie erneut ins Gefängnis kamen. Die restlichen 20 Prozent wurden wieder verurteilt und mit Haft bestraft.
Grausamkeit sagt nicht viel über Rückfallrisiko aus
Eine weitere wissenschaftliche Erkenntnis, die die einen oder anderen überraschen könnte: Mehreren Studien zufolge liefert die Grausamkeit einer Tat grundsätzlich keine wichtigen Hinweise für das Rückfallrisiko eines Täters.
Man denke an eine Person, die an Schizophrenie leidet und deshalb Stimmen hört, die ihr Gewalttaten befehlen. Die Person kann in diesem Zustand Grausamstes anrichten.

Erhält sie aber die richtigen Medikamente, verschwinden die Stimmen und damit auch der Auslöser für die Gewalt.
Doch lässt sich mit all diesem Wissen im Hinterkopf eine Aussage zum Fall Rupperswil tätigen?
«Eingeschränkte Therapierbarkeit»
Werfen wir einen Blick auf die Diagnosen, die Gutachter Thomas N. ausgestellt haben. Ihnen zufolge leidet er nicht an einer psychischen Krankheit, die die Wahrnehmung verändert – er hat also keine Schizophrenie.
Im Prozess wurde bekannt, dass die Gutachter ihm eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und eine pädosexuelle Neigung diagnostizierten. Hinzu kamen Dominanzstreben, zwanghafte Züge und der Verdacht auf sexuellen Sadismus.
Bei ihm wird laut Verwaltungsgericht aktuell von einer «eingeschränkten Behandelbarkeit» ausgegangen.
«Menschen können sich ändern»
Auch in Bezug auf die Studie mit den freigelassenen Straftätern aus Deutschland mahnt Dirk Baier: Sie «ist kein Grund dafür, bei Thomas N. anzunehmen, dass eine Besserung aktuell möglich ist».
Klar ist aber auch: «Kategorisch ausgeschlossen sollte eine solche Besserung nie werden. Menschen können sich ändern.»

Aus Baiers Sicht ist es «grundsätzlich immer möglich», jemanden zu therapieren, dass er später nicht mehr gewalttätig wird. Auch, wenn die Person derart kaltblütig Gewalt angewendet hat wie der Vierfachmörder von Rupperswil.
«Es braucht Zeit, es braucht auch die Einsicht der Tatperson, es braucht die richtige Methode und anderes mehr.» Damit eine Therapie erfolgreich ist, müsse also vieles zusammenkommen.
Zur Therapierbarkeit von Thomas N. selbst kann der Kriminologe keine Einschätzung machen.
Viele werden eingesperrt, obwohl sie nicht gefährlich sind
Er betont aber, dass es in solchen Fällen immer eine Unsicherheit gibt.
Auch ein Mensch, der sich während einer Therapie verändert, kann wieder schwere Straftaten begehen, gibt Baier zu bedenken. «Andererseits kann man nie sagen, dass ein Mensch sich nicht ändern kann.»
Die Gesellschaft müsse dann entscheiden, ob der Sicherheits- oder der Freiheitsaspekt überwiegt. Keine einfache Frage.
«Moderne Gesellschaften kippen immer mehr in Richtung Sicherheit», sagt der Kriminologe. «Letztlich mit der Folge, dass wir viele Straftäter lange einsperren, obwohl sie nicht wirklich gefährlich sind.»
Nur zwei Prozent der Verwahrten kommen raus
Der Mörder von Rupperswil sitzt inzwischen seit fast zehn Jahren in Haft. Ob er je freikommt, wird in den kommenden Jahren voraussichtlich immer wieder untersucht werden müssen.

Statistisch gesehen sind seine Chancen gering: Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 kommen in der Schweiz nur zwei Prozent der ordentlich Verwahrten frei.
N. plante noch weitere Gräueltaten
Im Dezember 2015 gelangte Thomas N. in das Haus der Familie, indem er sich als Schulpsychologe ausgab. Zuvor hatte er das Haus gezielt beobachtet und gewartet, bis der Partner der Mutter zur Arbeit ging.
Nach einem Gespräch mit dem Sohn begann er, ihn mit einem Messer zu bedrohen. Er zwang die Mutter, ihre Kinder zu fesseln und Geld abzuheben.
N. nötigte den jüngeren Sohn sexuell und tötete später die gesamte Familie mit einem Messer. Dann legte er das Haus in Brand.

Als er gefasst wurde, zeigte sich: Er hegte bereits neue Pläne und hatte Familien in den Kantonen Solothurn und Bern ausspioniert.
Thomas N. schien vor der Tat bestens in die Gesellschaft integriert. Medienberichte aus der Zeit der Ermittlungen und Gerichtsprozesses beschreiben ihn als Sohn reicher Eltern und «netten Nachbarn».
*Name der Redaktion bekannt












