Trauer um Ramiswiler-Hunde: Heuchelei oder echte Tierliebe?

Die Trauerfeier für die 120 Hunde aus Ramiswil zeigt: Wir Schweizer haben ein Herz für Tiere. Wirklich für alle Tiere? Oder nur für ausgewählte Lieblinge?

Das Wichtigste in Kürze
- Für die 120 eingeschläferten Hunde vom Hof Ramiswil wurde eine Gedenkfeier abgehalten.
- Dies zeigt, wie viel Mitgefühl wir mit Tieren haben können.
- Aber auch wenn wir uns als tierlieb bezeichnen, ist dieses Mitgefühl sehr begrenzt.
Auf dem Kreuzackerplatz in Solothurn brennen 120 Kerzen. Menschen stehen in dicken Jacken herum, manche schweigend, manche mit Tränen in den Augen. In der Mitte ein Schild: Dog Lives Matter, Hundeleben zählen.
Es war eine stille, aufrichtige Trauer für die eingeschläferten Hunde im tragischen Fall Ramiswil und ein eindrückliches Beispiel dafür, wie tief uns Tierleid berühren kann.
Schweiz ein tierliebendes Volk
Wir sind ein tierliebendes Volk. Wir backen Hundekekse, richten Katzen-Instagram-Profile ein und googeln beim ersten Niesen des Meerschweinchens: «Tierarzt Notfall Sonntag».
Es überrascht also nicht, dass der Fall Ramiswil viele bewegt. Was dieser Fall aber auch zeigt: Unsere Tierliebe hat klare Grenzen.
Denn dann gibt es ja noch die anderen Tiere. Jene, bei denen uns ein schlechtes Leben erstaunlich wenig ausmacht – und ihr Tod noch weniger.
Tiere, denen wir keine Namen geben, sondern sie lieber im Einkaufskörbli sehen: Entrecôte, Emmentaler, Nuggets, Cervelat. Persönlichkeiten verschwinden hinter Produkten, aus Individuen werden Zutaten.

Sie fühlen Schmerz, Freude, Langeweile. Doch sie haben einen entscheidenden Nachteil: Sie kommen nicht schwanzwedelnd auf uns zu. Sie liegen nicht auf unseren Füssen, wenn wir krank sind. Sie machen kein Männchen auf Befehl und bellen nicht vor Freude, wenn wir nach Hause kommen. Millionen von Hühnern, Schweinen, Kühen, Schafen und Ziegen leben in der Schweiz – still und unsichtbar, obwohl sie mitten unter uns leben.
Genau dort beginnt das Problem. Anonymität ist die beste Tarnkappe gegen Empathie.
Warum kommt das eine Tier aufs Sofa und das andere in die Pfanne?
Fragt man, warum unser Mitgefühl beim Hund überläuft und beim Schwein versiegt, kommt fast reflexartig die Antwort: «Das sind halt Nutztiere. Das ist ein Unterschied zu Haustieren.»
Dieser Unterschied lässt sich jedoch erstaunlich schlecht erklären, sobald man ihn nicht mit Lust aufs Znacht, sondern mit Logik begründen will. Hunde seien eben näher am Menschen, heisst es dann. Stimmt, sie liegen näher. Nämlich auf dem Sofa.

Dabei sind die sogenannten Nutztiere gar nicht viel anders: Kühe sind verspielt, Hühner schliessen Freundschaften und Schweine schneiden in Intelligenztests regelmässig besser ab als Hunde.
Der Unterschied liegt also weniger in den Tieren selbst als in unserer Bereitschaft, sie als Individuen zu sehen.
120 sind eine Tragödie, 85 Millionen? Egal!
Dass wir für Hunde so viel empfinden, ist etwas Schönes. Die Mahnwache in Solothurn hat gezeigt, wie stark unser Mitgefühl sein kann. Die Frage ist nur, warum dieses Gefühl beim Gartenzaun aufhört.
Wir trauern um 120 eingeschläferte Hunde und zucken gleichzeitig mit den Schultern, wenn jedes Jahr über 85 Millionen Tiere in der Schweiz geschlachtet werden.
Eine Zahl, so absurd hoch, dass sie kaum fassbar ist: fast zehnmal mehr Tiere, als Menschen im Land leben. Sie alle werden nach einem Bruchteil ihrer natürlichen Lebenszeit getötet – genau wie die Ramiswiler Hunde.
Nur: Für sie stellt niemand Kerzen auf.

Man muss daraus keinen Vorwurf machen. Aber man darf sich fragen, wie diese beiden Realitäten nebeneinander existieren können, ohne dass uns der Kopf explodiert.
Eine Kerze für einen eingeschläferten Hund anzünden und gleichzeitig voller Freude in einen Hotdog beissen? Wir schaffen das problemlos.
Oder war es vielleicht doch ein veganer Hotdog? Das würde zumindest hoffen lassen, dass es eines Tages nicht nur Dog Lives Matter heisst, sondern auch: Pig Lives Matter.
Auch Schweineleben zählen. Jedes einzelne.
Zur Autorin
Zur Person: Mirjam Walser (39) schreibt auf Nau.ch regelmässig zu Veganismus, Ernährung und gesellschaftlichem Wandel. Als Coach und Gründerin der Vegan Business School unterstützt sie Menschen dabei, nachhaltige Unternehmen aufzubauen.







